15 Januar 2010

Back from the future!


Eifrige Leser dieses Blogs werden sich erinnern, wie ich vor einigen Monaten aus dem mittelalterlichen nahen Osten in die strahlende Zukunft Washingtons aufbrach. Von meinen Erlebnissen in Fallout 3 möchte ich nun berichten.

Das Szenario
Wer mit postapokalyptischen Settings auf Kriegsfuß steht, ist bei Fallout 3 klar falsch. Wer dem Genre aber zumindest offen gegenübersteht, wird mit einem sehr spannenden und atmospährischen Game belohnt, das viel Abwechslung bietet: Laut Zeitlinie des Spiels steht uns in knapp 70 Jahren ein Atomkrieg bevor. Mal wieder. Nachdem der Staub sich legt, ist so ziemlich alles platt. Schadlos überlebt haben nur die Menschen, die sich in den Vaults, unterirdischen Bunkern, verschanzt hatten. Also nicht viele. Ich bin einer davon - erlebe meine eigene Geburt mit, wachse auf (alles sehr schön als Tutorial ins Spiel eingebunden). So könnte es weitergehen - doch dann verschwindet mein Vater: Und das, obwohl unser Vault 101 eigentlich völlig hermetisch versiegelt sein sollte. Niemand geht oder kommt. Wo ist er hin? Und warum? Ich mache mich auf die Suche.

Das Spiel

... besteht auf der einen Seite aus Quests, also Aufgaben, die einem von verschiedenen Spiel-Charakteren gestellt werden. Sie können, müssen einem aber nicht weiterhelfen bei der Suche nach dem verschwundenen Vater. Sollte man nur diesem Faden folgen, ist man vergleichsweise schnell durch Fallout 3 hindurch - verpasst aber auch jede Menge Sehens- und Erlebenswertes. Ich bin sogar so weit gegangen, mir eine Liste der verfügbaren Nebenquests auszudrucken und diese nach und nach abzuhaken, nachdem ich mich durch die große Hauptquest gewandert, geballert und gerätselt hatte (kleiner Tipp: wer das auch machen möchte, dem empfehle ich die Nebenquest "Oase" für den Schluss aufzuheben). Die andere Hälfte von Fallout 3 ist der Rollenspielanteil: Ich habe Vault 101 mit einem lausigen Overall und einem Schlagstock verlassen. Als ich die Quest "Oase" beendet hatte, trug ich einen Strahlenschutzpanzer-Prototyp sowie ein ganzes Arsenal an gefundenen, gekauften und selbst gebauten Waffen. Von meinen Fähigkeiten, Schlösser zu knacken, Dinge zu reparieren, der Strahlung zu widerstehen und vielem mehr ganz zu schweigen.


Mein Spielcharakter (Vordergrund), mein Köter "Dog", mein Kumpelmutant Fawkes

Die Welt
... von Fallout 3 ist der eigentliche Star des Spiels. Die Oberfläche ist bar jeder Vegetation, was an Gebäuden noch steht ist entweder nur noch als Gerippe vorhanden oder zumindest stark verwahrlost. Was sofort auffällt, ist die schiere Weitläufigkeit des Washingtoner Umlandes: Die Designer haben eine frei begehbare, sage und schreibe 7 x 7 Kilometer messende Spielwelt geschaffen. Das will man erstmal ablatschen, besonders da es keine Fahrzeuge gibt (dafür kann man "schnell reisen" an Orte, die man bereits - zu Fuß - entdeckt hat). Wenige unzugängliche Berge werden in ihrer Fläche mehr als wettgemacht durch mehrstöckige Gebäude, Tunnels der U-Bahn und Höhlensysteme. Wer jetzt meint, baah verstrahltes Ödland, laaaangweilig: Weit gefehlt. Das Spiel überrascht nach jeder Erhebung und jeder Häuserecke mit einer neuen Aussicht: auf ein Tal mit einem See, eine Siedlung mit einem Wasserturm, markante Felsformationen, Satellitenstationen, freistehende Gebäude, Fernmeldeantennen, von den ganzen "Postkartenmotiven" aus Washington City ganz zu schweigen (Weißes Haus, Kapitol, Lincoln Memorial, Washington Monument etc. ect.). Der Stil des Spiels, der ein einer Art 50er-Jahre-meets-SciFi daherkommt und deshalb gerne an Fernseh-Serials á la Flash Gordon erinnert, zieht sich konsequent durch jedes Pixel. In jedem Müllhaufen stößt man auf mehr oder weniger wertvollte Gegenstände, Es gibt überall etwas zu entdecken, buchstäblich alle paar Meter stößt man auf verlassene (oder bewohnte) Siedlungen, Mini-Karavanen, auch die ein oder andere ganz unerwartete Überraschung wie ein abgestürztes UFO samt Alien... und vor allem viele viele Gegner.

Freund und Feind
... unterteilen sich grob in Monster und Menschen - mit fließenden Übergängen. Von Kleingetier wie Blähfliegen oder Kakerlaken in Koffergröße über wilde Hunde und Riesenskorpione reicht das noch halbwegs bekannte Tierreich. Normale Viecher gibts nicht, selbst die Kühe haben 2 Köpfe. Neue Spezies sind die sog. Mirelurks (eine Mischung aus Mensch, Krebs und Kellerassel) und die Todesklaue, ein echt fieses Vieh. Wie es sich für eine verstrahlte Welt gehört, wimmelt es auch nur so vor Mutanten, doch selbst hier gibt es Variationen: Wilde Ghoule, eine Art schnelle Zombies, und menschliche Ghoule, die aussehen wie Zombies aber im Prinzip nur eine Gammelfleisch-Variante normaler Menschen sind. Von diesen Überlebenden gibt es übrigens wesentlich mehr, als man im Vault-der-Ahnungslosen glaubt oder zuzugeben bereit ist: Schon die erste Siedlung auf die man nach dem ersten Atemzug frischer (aber leicht verstrahlter) Luft stößt, beherbergt gut 2 Dutzend größtenteils normaler Bürger: In Megaton, das schnell zur Ausgangsbasis des Spielers wird (wenn er das wünscht), kann man sich viele Freunde machen. Aber auch Feinde.


Die Aussicht von meinem Balkon in Megaton City

Charaktere und Fraktionen
Wo Menschen (auch gammlige) wohnen, bilden sich Gemeinschaften. So entdeckt man in jeder Siedlung einen neuen Mikrokosmos an Beziehungen, die die volle Bandbreite der Emotionen abdecken. Freundschaft, Hass, un/heimliche Liebe, Trauer, Angst, Mut - die Entwickler verstehen es gut, die bunte Menagerie der agierenden Menschen (und Monster und Maschinen) glaubwürdig erscheinen zu lassen. Jeder hat etwas zu erzählen, überall ersucht man den Spieler um Hilfe. Und überall hat man die Wahl, wie man reagiert.

Gut oder böse?
Bei praktisch jeder Frage, die einem die Spielfiguren stellen, hat man die Wahl: Reagiere ich freundlich, neutral oder aggressiv? Das gilt dabei für simple Gespräche genauso wie für Aufträge: die Bevölkerung einer kleinen Ödlandsiedlung wird allmählich vom nahegelegenen Sklavenhändlerlager dezimiert. Helfe ich ihnen? Wandere ich einfach weiter? Oder liefere ich das armselige Häuflein den Sklavenhändlern aus, gegen eine dicke Belohnung? Helfe ich dem Androiden, der ein Bewusstsein entwickelt hat, zu entkommen oder schleife ich ihn zu seinem fiesen Besitzer zurück? Je nachdem wie ich wem gegenüber reagiere (habe ich ihm geholfen oder ihn umgelegt) kann es häufig geschehen, dass im weiteren Verlauf des Spiels meine Aktionen weitreichende Konsequenzen haben. Schon früh im Verlauf des Games steht man vor der Entscheidung: Entschärfe ich die Atombombe, um die Megaton City gebaut wurde... oder jage ich den ganzen Laden für 30 Silberlinge in die Luft? Letzteres bietet eine der spektakulärsten Szenen von ganz Fallout 3.


Meine Ausrüstung am Ende des Spiels. Eigentlich müssten hier auch noch ca. 2 Tonnen Munition zu sehen sein.

Die Waffen
In einer Welt, in der das Recht des Stärkeren zählt, ist man ohne Mordwerkzeug schnell Blähfliegenfutter. Oder versklavt. Die Liste an Stich-, Schuss-, Flammen- und Sprengwaffen ist schier endlos, vom simplen Küchenmesser über Strahlen- und Maschinenwaffen bis hin zu Raketen- und Mini-Atombomben-Werfern. Aus herumliegendem Schrott kann man sich - den Besitz entsprechender Baupläne und einen hohen Reparieren-Skill vorausgesetzt - eigene klangvolle Waffen bauen, ich selber habe mir ein "Rösti" (ein flammendes Schwert), eine Railgun (verschießt Gleisnägel mit denen man Gegner regelrecht festnageln kann) und einen Rock-it-Werfer (mit dem man praktisch alles verschießen kann was man im Ödland einsammelt) gebaut.

Balance
Die Aufträge, die einem von den anderen Charakteren in Fallout 3 gestellt werden, sind vielfältig - "erschlage 3 Orks oder bringe mir 10 Pflanzen" entfällt. So etwas wie einen ansteigenden Schwierigkeitsgrad gibt es nicht: Je nach Auftrag kann es sein, dass man diesen locker erfüllt - oder ganz schnell tot ist. Auf eine Mine getreten, von Raiderbanden erschossen, dem falschen Vieh über den Weg gelaufen: Der Tod wartet überall. Dabei ist das Spiel aber nie unfair - mit der richtigen Ausrüstung und der richtigen Taktik lässt sich alles meistern. Auch die allgegenwärtige Radioaktivität spielt eine Rolle - allerdings eine sehr untergeordnete. Obwohl man die Strahlung mit jedem Atemzug, jedem Schluck Wasser und jedem Bissen Nahrung aufnimmt - der Blick auf die eigenen Verstrahlungswerte lässt einen höchstens alle Stunde einmal beiläufig zum Rad-X greifen, sollte man einmal in ein hochverseuchtes Gebiet geraten ist man ohnehin (man ahnt es schon) sehr schnell tot. Hier wäre noch mehr Potential vorhanden gewesen, die Gefährlichkeit dieser Welt hervorzuheben.

FAZIT
Fallout 3 ist ein faszinierendes Spiel, das Entdeckungspotential für Monate bietet: Wer behauptet, "alles gesehen" zu haben hat entweder gelogen oder einfach nichts anderes zu tun, als jeden Stein im verstrahlten Washingtoner Umland umzudrehen. Man muss aber zugeben, dass das sicher nicht langweilig wäre. So wie praktisch alles im Spiel: Leerlauf gibt es im Prinzip nicht, die teilweise langen Laufwege bergen bei jedem Schritt Gefahr, die Aufträge sind mit viel Liebe gestaltet, zu jeder Aufgabe gibt es verschiedene Lösungswege. Der eigene Charakter lässt sich bis zur Nasenspitze frei gestalten und ausrüsten - einzig eine tiefere Bindung an Mitcharaktere lässt das Spiel vermissen: Die Möglichkeit, ähnlich wie in Wing Commander eine Liebesbeziehung einzugehen wäre eine nette Option gewesen. Die eigene Figur bleibt stets etwas distanziert von den Bewohnern des Ödlandes, man wird entweder beschossen oder (im besten Fall) verehrt. Freunde findet man keine. Aber dafür hat man ja eigentlich auch sein richtiges Leben. Wer in selbigem aber Zeit zum Computer spielen hat, erhält mit Fallout 3 ein hervorragendes Spiel, das jeden Cent und jede Minute Spielzeit wert ist.

Wer mich sucht, in bin mittlerweile nach Liberty City gezogen.

Keine Kommentare: