02 März 2011

Leisetöter oder "Straße der blutigen Stiefel"



(Ich stelle grade fest dass dieser Post seit März 2010 in den Entwürfen herumgammelt. Das hat nun ein Ende. Jetzt gammelt er im Internet herum.)

Wer Zwillinge im Bekanntenkreis hat weiß: Die Typen stehen gerne im Zentrum der Aufmerksamkeit. Scheußlich. Und was die alles dafür tun. Zum Beispiel in tagelanger Heimarbeit und unter Zwangsrekrutierung der eigenen Ehefrau blödsinnig aufwändige Faschingskostüme basteln, die Figuren darstellen, die nur Videospielzocker kennen. Aber was soll ich sagen - es hat sich gelohnt. Auch wenn sich herausgestellt hat, dass das Kostüm seit dem letzten Jahr im Schrank ein wenig gelitten hat - wer hätte gedacht, dass sich das von mir für bombensicher gehaltene Klebeband auf dem verwendeten Kunstleder in seine Bestandteile "Kreppband" und "honigartige Klebeflüssigkeit die alles pappig macht" auflöst?! Gut dass es noch eine Generalprobe gab - beim Kinderfasching meiner Schwägerin, wo meine Rolle von einem der anwesenden Väter zielsicher erkannt wurde als "Ah, was haben wir denn da, einen... ZOMBIE!" *seufz* Manche Leute leben einfach unter Steinen. Aber dann - Rosenmontag, Faschingszug in Neu-Isenburg. Mein großer Auftritt. Gute 30 Minuten brauche ich um die 15 Teile der Rüstung anzulegen, festzuzurren, anzuschnüren und zu spreizdübeln. Wie der Urvater aller röcketragenden Meuchelmörder stapfe ich in meinen Lederstiefeln richtung Hugenottenallee: Sollte ich durch eine Horde Kleinkinder pflügen und sich welche davon in Panik an meine Treter klammern, merke ich es nicht denn die Stiefel sind 3 Nummern zu groß und ich kann aus meiner schnittigen Kapuze auch nicht sonderlich gut sehen. Bedrohlich schreite ich voran. Jedenfalls bis mir auf halber Strecke mein Kurzschwert klappernd aus der Rückenscheide auf den Gehweg fällt. Wenn das einer meiner Konkurrenten gesehen hat, stehts morgen auf Seite 1 der "Killt" und werde ich zum Gespött der meuchelnden Zunft. Herzhaft fluchend versuche ich das Schwert so zu halten, dass es beim Gehen möglichst cool aussieht. Was schwer fällt, da das Ding aussieht wie eine Kreuzung aus Stichsäge und Tausendfüßler, lackiert von einem farbenblinden Dreijährigen mit Bewegungsstörungen.
10 Euro bei ebay - was will man erwarten. Leider kam es erst Montag morgen mit der Post - ein Fall für Fasching 2011. Nachdem mir zwei freundliche pakistanische Kioskbesitzer das Schwert mit Tesa an der Scheide fixiert haben, bin ich endlich bereit für das Bad in der Menge. Kaum bin ich auf die Hugenottenalle eingeschwenkt, erschallen aus der staunenden Masse erste Huldigungen: "Assassin's Creed!", "Altair!" und "Sam Fisher ist bessser, Altair ist Scheiße!" In letzterem Fall bedaure ich kurz, mit nicht doch die aufschnappende Armklinge gebaut zu haben. Oder das satte "Tschinggg!"-Geräusch der Klinge auf mein Handy gespeichert zu haben, um es dann in Verbindung mit einem herzhaften Klaps auf die Nieren des Frevlers abzuspielen. Doch in diesem Moment spricht mich der erste Fan an - glaube ich jedenfalls, bis ich gefragt werde ob ich zu einem der Faschingsvereine gehöre, die inzwischen die Straße hinunter paradieren. Der lobende Nachsatz über meine Kluft stimmt mich jedoch schnell wieder versöhnlich. Mit langen Schritten ziehe ich weiter - nach kaum 20 Sekunden stellt sich mir eine gröhlende Bande Jugendlicher in den Weg, alle mit Bierflaschen und debilem Grinsen bewaffnet skandieren sie den Namen meines Alter Ego. Ich bin also enttarnt. Damit nicht genug, fängt der mir am nächsten stehende Spund an, an meinem Kostüm herumzureißen und mir Wurfmesser zu entwenden. Meine Verkleidung übermannt rationales Denken und ich bringe den Trunkenbold mit einem sanften Daumenhebel zur Raison. Der nimmt es mir nicht übel, offenbar hat das Bier schon alle Nerven in seinem Arm betäubt. Entweder das oder ich muss noch an meiner Daumenhebeltechnik arbeiten. Ich wende mich dem Zug zu um nach meiner (ehemals) faschings-aktiven Schwester Ausschau zu halten. Da legt sich mir eine Hand auf die Schulter (man sieht einfach NICHTS kommen in der elenden Kapuze), ich wende mich nach links und blicke in ein Gesicht das so breit grinst, dass dem jungen Mann eigentlich die obere Hälfte des Kopfes abfallen müsste. Der über mich hereinbrechende Wortschwall beinhaltet sehr oft die Worte Geil / Wahnsinn / geiles Spiel, geiles Kostüm / Super und Wahnsinn, begleitet von fortwährendem Schulterklopfen. Als ich dann noch dazu genötigt werde, mich mit ihm und danach seiner Freundin fotografieren zu lassen, muss ich eine Freudenträne unterdrücken. Innerhalb der nächsten halben Stunde wiederholt sich diese Szene noch 3 weitere Male. Halb erwarte ich, am nächsten Tag auf der Titelseite der Bild zu landen (eine Hoffnung die herb enttäuscht werden wird). Inzwischen ist der Zug vorbeigezogen, und langsam merke ich, dass es nicht ratsam ist, in 3 Nummern zu großen Stulpenstiefeln mehr als 1 km zu laufen. Geschweige denn insgesamt ca. 3. UND dann noch 1,5 km Heimweg vor sich zu haben. Mit jedem Schritt gen Heimat hinke ich mehr. Ich nehme mir vor, irgendewtas von einer alten Schwertwunde zu faseln, sollte mich jemand auf mein Gebrechen ansprechen. Nach einem Drittel der Strecke überlege ich ernsthaft, ein Taxi zu rufen. Ohne Handy allerdings schwierig. Also beiße ich die Zähne zusammen und humpele die restliche Strecke, und gemurmelten, nicht zitierfähigen Flüchen auf Stiefel, Leder, ebay, Gott und die Welt im allgemeinen nach Hause. Dort angekommen, schäle ich mich - immer noch fluchend - aus meinem Outfit und begutachte meine Fersen, die so wund gelaufen sind wie in meinem ganzen Leben noch nicht. Aber wenn man mich nun fragen würde ob es die Sache wert war, würde ich sagen.... NEIN, verdammt! Ich konnte noch 2 Wochen lang nicht vernünftig laufen und es hat ca. 3x so lange gedauert, bis die Löcher in meinen Füßen (und es waren Löcher) halbwegs verheilt waren! Natürlich war es das nicht wert! Ich habe die Stiefel postwendend verkauft. Beim Catwalk, ähh, Faschingszug 2011 gehe ich lieber barfuß als in blutigen Stiefeln. Assassinen-Ehre hin oder her.